Das Visum haben wir zum letztmöglichen Termin in München persönlich abgeholt. Die zunehmende Zahl an Corona-Infektionen hat uns schon auch mit Sorge erfüllt. Der Reiseveranstalter SKR sieht keine Veranlassung, die Tour abzusagen. Jetzt geht’s los. Mit Bus, Regionalzug und ICE erreichen wir Frankfurt Airport und warten. An Bord der Air India 120 werden wir zielgerecht bekocht: es gibt Hühnchencurry. Zu den vier Stunden Wartezeit in Frankfurt kommen weitere drei in Delhi. Hier herrscht das blanke Chaos bei der Sicherheitskontrolle. Alle ankommenden Gäste müssen ein Formular ausfüllen, in dem die persönlichen Daten, sowie Flugnummer und Sitzplatz erfasst werden. Die letzte Flugetappe dauert nur mehr eineinhalb Stunden. Zur Abwechslung gibt’s Hühnchencurry. In Kathmandu misst man die Körpertemperatur der Einreisenden. Ungeduldig warten wir am Gepäckband, wühlen in abgestellten Kofferbergen. Endlich, alles gut! Vor dem Flughafengebäude treffen wir auf die sieben mit uns Reisenden und Sushil, unseren Guide. Der heißt jeden von uns mit einem gelben Seidenschal und einem Mundschutz willkommen. Im Hotel Tibet International lernen wir uns beim abendlichen gemeinsamen Gyakok Essen näher kennen. Gyakok ist ein traditionelles tibetisches Gericht aus verschiedenen Fleisch- und Gemüsesorten und wird in einem Hot Pot serviert. Danach besorgen wir Bargeld und statten dem großen Stupa von Bodnath noch einen kurzen Besuch ab. Im Sog der vielen Menschen, die den Stupa umrunden, übersieht Otto den Ausgang und würde den großen Platz gleich noch mal umkreisen.
In einem Teich in Budhanilkantha liegt der schlafende Vishnu, der Urheber der Welten. Er ruht auf dem vielfach gewundenen Leib der Weltenschlange Ananta, welche auf dem Urozean treibend mit ihren elf Köpfen den Schlaf des Gottes bewacht. Wir sind hellwach und lauschen den Erklärungen zu den Formen des Hinduismus, zu den Bräuchen und Opfergaben und kaufen eine Rudraksha-Mala. Rudraksha ist der Samenkern des Eleacarpus-Baumes und wird zu einer Art Rosenkranz aus meist 108 Kernen geknüpft. Dem Baum und dem pulverisierten Samen werden Heilkräfte zugeordnet und weicht das „Gesicht“ des Kernes von der Norm ab, wird er sogar richtig wertvoll! Die frommen Gläubigen um uns herum lassen sich von unserer aufdringlichen Fotografie-Lust nicht stören. Auch den Rat, auf keinen Fall Essen in einer der vielen Garküchen auf den Straßen zu kaufen, nehmen wir ernst. Dort würden die Hygienevorschriften für unsere empfindlichen Mägen und Därme sträflich missachtet. Zu einem der heiligsten Orte des Landes, der 2500 Jahre alten Tempel-Anlage von Swayambhunath, führen 365 Stufen steil und schweißtreibend bergan. Bei jedem Innehalten eröffnet sich ein weiter Blick auf Kathmandu. Still wehen zahllose bunte Gebetsfahnen in der warmen Luft. Störend sind nur die hartnäckigen Souvenirverkäufer, aber auch die brauchen ein Einkommen! Der buddhistische Stupa und zwei hinduistische Türme zeugen von der Verzahnung der beiden Religionen. Massen von Rhesusaffen haben für den Zusatznamen „Affentempel“ gesorgt. Auch hier lassen fromme Menschen Rauch, Blumen und Speisen durch Priester opfern. Auf der Dachterrasse des kleinen Restaurants Kasthamandap am Rand der Altstadt gibt es gegen 14 Uhr ein spätes Mittagessen. Trotz der warmen Sonne ist der frische Wind dort oben unangenehm kühl. Gestärkt nehmen wir den letzten Teil des Tagesprogramms in Angriff, den Durbar Square, das Herzstück der Altstadt. Ein Konglomerat aus mehr als 50 Palästen, Tempeln und Pagoden. Die meisten aus Holz gebaut und kunstvoll verziert. Viele Gebäude wurden beim Erdbeben 2015 zerstört, ein großer Teil ist wiederaufgebaut und restauriert. Am Ende besuchen wir die Kindgöttin Kumari in ihrem „goldenen Käfig“. Stumm und regungslos zeigt sie sich in einem Fenster. Es besteht absolutes Verbot zu fotografieren. Im Kleinkindalter zwischen zwei und vier Jahren wird ein Mädchen anhand von 32 körperlichen Merkmalen und ihrem Geburtshoroskop aus einer angesehenen Familie ausgewählt, in die Tempelanlage gebracht und als „lebende Göttin“ verehrt. Sie residiert dort von Eltern und Geschwistern getrennt. Seit der Neuzeit erhält sie zumindest Unterricht durch Privatlehrer. Mit Einsetzen der Menstruation verliert sie ihren Status. Danach erhält sie eine Pension von etwa 30 Euro monatlich vom Staat.
Wegen einiger Mt. Everest-Flieger dürfen wir heute lang schlafen. Sie kommen nämlich von ihrem Sonnenaufgangs-Rundflug zum Dach der Welt erst nach 8 Uhr zurück und sollen ja auch noch frühstücken. Heute ist „Holi-Fest“ zur Feier des kommenden Frühlings. Die Jugendlichen bemalen Gesichter und Arme mit buntem Farbpulver und bewerfen sich gegenseitig mit Wasserbeuteln. Der Pashupatinath-Tempel am Bagmati-Fluss ist eines der höchsten Heiligtümer des Hinduismus. Er liegt am rechten Ufer des Flusses zusammen mit den Verbrennungsstätten, den Arya Ghats für die höheren Kasten und den Surya Ghats für die niederen Kasten. Die Angehörigen besprengen die in orange Tücher gehüllte Leiche mit dem Wasser des heiligen Flusses, bedecken sie mit Blumengirlanden und tragen sie feierlich zu einem Scheiterhaufen. Dort wird sie mit feuchtem Stroh bedeckt. Danach entzündet man mit einem in flüssiger Butter getränkten Strohbüschel den Scheiterhaufen. Die Familie und Freunde des Toten bleiben während der Verbrennung in der Nähe. Nach etwa drei bis vier Stunden werden die Asche und verkohlte Scheite in den Fluss gekehrt. Die Zeremonie mutet zunächst befremdlich an, ist aber letztlich sehr würde- und pietätvoll. Weniger pietätvoll sind unsere klickenden Kameras, die zum Glück durch den Fluss in respektvoller Entfernung bleiben. Am diesseitigen Ufer können wir Opfernde sehen, die den Jahrestag ihres Verstorbenen feiern, im Dialog mit einem Priester oder alleine meditierend. Zu den „Stammgästen“ im Tempelkomplex gehören die fotogenen Sadhus, die heiligen Männer, die sich ihre Ablichtung gut bezahlen lassen. Zurück in Bodnath widmen wir uns zunächst der Kunst. Direkt am großen Stupa demonstrieren die Schüler einer Mandala Malschule ihre Fähigkeiten. Mit erstaunlicher Akribie setzen sie Pinselstrich an Pinselstrich. Damit auch Göttin Kommerz nicht zu kurz kommt, darf man die ausgestellten Werke auch kaufen, nicht jedoch fotografieren! Nach einer wieder späten Lunchpause gehen wir ins Kloster. Wir sitzen am Boden und hören den monotonen Singsang der Mönche, unterbrochen von Trommeln, Schellen und Flöten, ohne wirklich zu verstehen, was da vor sich geht. Am Ende verweigern einige von uns den priesterlichen Segen, für den eine Geldspende erwartet wird. Wir umrunden den Stupa auf der Plattform und gehen zu Fuß ins nahe Hotel. Morgen müssen wir zeitig aufstehen, wir werden Kathmandu bereits um 7:30 Uhr verlassen.
Aufbruch aus Kathmandu, einer Stadt mit einem immensen Bevölkerungswachstum durch Zuwanderung, mit ständiger Bautätigkeit, Verkehrslärm und dichten Abgaswolken. Vor gut 1000 Jahren wurde Kantipur, so der alte Name, am Zusammenfluss von Bagmati und Vishnumati auf Weisung der Wohlstandsgöttin Mahalakshmi errichtet. Sie selbst wollte in der Stadt wohnen, bis dort Geschäfte im Wert von 100 000 Rupien täglich getätigt würden! Wann hat sie wohl die Stadt verlassen? Für die heutigen 180 Kilometer benötigen wir sechs Stunden reine Fahrzeit. Soviel zu den nepalesischen Straßenverhältnissen. Sushil steigt unterwegs zu, weil er an der Strecke wohnt. Auf den kurvenreichen Passstraßen zwingen unseren Fahrer immer wieder waghalsige Überholmanöver entgegenkommender Wagenlenker zum Bremsen. Überholen geht folgendermaßen: Hupe - ich möchte überholen; Hupe - ich lass dich überholen; Hupe - danke; Hupe - bitte! Wir verlassen das Kathmandutal, das erst 1956 durch eine Straße erschlossen wurde. Allerdings gab es schon vorher Autos in dieser Gegend, denn die Rana-Familie ließ Fahrzeuge über die Berge transportieren, ganz oder in Teilen. Die letzte Wegstrecke zum Tigerland Resort im Chitwan Nationalpark schließlich ist Schotterpiste bis hin zu übelstem Feldweg. Geschüttelt, nicht gerührt, nehmen wir unseren Willkommensdrink. Die Bungalows der naturnahen Anlage fügen sich in das gepflegte Gelände. Nach dem späten Mittagessen um 15 Uhr brechen wir zusammen mit Pushpa, dem Nationalpark Guide, und einem weiteren Führer zu einem ersten Gamewalk auf. Die beiden sind mit Stöcken bewaffnet, da kann uns ja nichts passieren! Pushpa bemüht sich intensiv, uns Flora und Fauna nahe zu bringen. Immer wieder ermahnt er uns zu Ruhe. Am East Rapti River haben wir weit entfernt Blickkontakt mit einem Panzernashorn. Wir stapfen durch mannshohes Elefantengras, kommen aber nicht wirklich nahe heran. Pushpa zeigt uns eine nicht ganz frische Spur eines Tigers im weichen Sand. Auf dem Heimweg steht ein kolossales Rhino vor uns auf der anderen Seite eines Grabens. Wow – Glück gehabt. Die abendlichen Gespräche drehen sich allerdings hauptsächlich um die sich zuspitzende Situation hinsichtlich der Abriegelung der Grenzen vieler Staaten wegen des Corona Virus. Eine erste sorgenvolle E-Mail geht an unseren Veranstalter.
Die nächste kurze Nacht! Tierbeobachtung ist nun mal am besten in den frühen Morgenstunden möglich. Auf der Ladefläche eines Jeeps holpern wir wegen der morgendlichen Kälte dick eingemummt durch den Sal-Wald, der von Elephant Apple Trees (Rosenapfelbäumen) durchsetzt ist. Geübte Augen entdecken laufend die unterschiedlichsten Tiere, wobei den großen Sumpfkrokodilen die meiste Aufmerksamkeit widerfährt. Bei einem Tümpel machen wir Rast. Die beiden Guides platzieren Kaffee und Kekse auf der Motorhaube – Dschungelcamp-Wachmacher. Weiter zur Aufzuchtstation von Gharialen, einer vom Aussterben bedrohten Krokodilart, die sich von Fischen ernährt. Nach der kurzen Mittagspause besuchen wir ein ursprüngliches Dorf aus traditionellen Lehmhäusern am Rand des Nationalparks. Hier ist Rosmarie der umworbene Kinderstar, als sie bunte Luftballons verteilt. Die Bewohner leben in einer unglaublichen Einfachheit. Pushpa erklärt uns, dass sie aufgrund von Grundstücksverkäufe durchaus wohlhabend seien. Anschließend vertauschen wir den Jeep gegen zwei Boote. Gemächlich staken uns die beiden Bootsführer von der Gharial Aufzuchtstation den East Rapti River flussabwärts. Die unglaubliche Stille um uns herum und das lautlose Dahingleiten der Boote, selten unterbrochen vom leisen Knirschen, wenn wir eine Kiesbank queren, entschleunigen ungemein. Auch die wenigen Tiere in und am Wasser verhalten sich völlig ruhig. Damit ist es noch vor dem Abendessen vorbei. Eine Gruppe junger Frauen, begleitet von zwei Trommlern, präsentiert volkstümliche Tänze. Am Ende werden wir Zuschauer animiert, selbst mitzumachen. Und alle sind dabei, sogar Otto.
Weil heute fast 200 Kilometer vor uns liegen, wird’s wieder nichts mit Ausschlafen. Wir verlassen das Tiefland, das sogenannte Terrai, früher malariaverseucht, seit der Trockenlegung der Sümpfe die Kornkammer des Landes. Den ersten Teil bis Muglin kennen wir schon von der Anreise. Dort nehmen wir die Brücke über den Trishuli River und betreten entlang des Daraudi Flusses Neuland. Zahlreiche Hängebrücken für Fußgänger und Karren erschließen das straßenferne Ufer. Es ist bereits Nachmittag, als wir Pokhara erreichen und dort zu Mittag essen. Ottos American Chop Suey ist eine unmögliche Komposition: gedörrte Spaghetti in Tomatensauce. Einige Mitreisende versuchen an Geld zu kommen, Fehlanzeige. Der letzte Teil der Strecke führt uns auf abenteuerlichen Straßen bergwärts. Das überhängende Heck unseres Busses sitzt in unglaublichen Schlaglöchern mehrmals auf. Einmal müssen wir sogar alle aussteigen, um die Bodenfreiheit zu erhöhen. Gegen 17 Uhr kommen wir endlich im Himalayan Deurali Resort an. Die Zimmer sind ausgesprochen basic, aber die Aussicht ist phänomenal. Vor uns erstreckt sich das Annapurna Massiv und mitten drin dominiert der Machapuchare, der heilige Berg, der nicht bestiegen werden darf. Er ist etwa 1000 Meter niedriger als die Achttausender Annapurna I und II, die weiter entfernt sind. Wir treffen uns zum Sonnenuntergang auf der Aussichtsplattform. Scharenweise aus ihren Erdlöchern schwärmende fliegende Ameisen nehmen uns derart in ihren Bann, dass wir tatsächlich das Verschwinden unseres Zentralgestirns verpassen. Wir sind die einzigen Gäste in diesem Resort, dessen bauliche Erweiterung zwar im Gange, aber momentan ohne Zukunft ist.
Wir mutieren zu Frühaufstehern. 6 Uhr wecken, 6:15 Uhr Sonnaufgang bewundern. Wegen der vielen Wolken vollzieht der sich recht unspektakulär. Aber zumindest fällt stellenweise das frühe Morgenlicht auf die schneebedeckten Riesen vor uns. 8 Uhr Abfahrt nach Kande. Dort startet unsere heutige Wanderung. Die 450 Höhenmeter werden Bergfreunde belächeln. Uns bringt der holprige, steinige und mitunter sehr steile Pfad trotz des bedeckten Himmels ins Schwitzen. Im australischen Basislager beginnt es gar leicht zu regnen, kaum dass wir unseren Kaffee bestellt haben. Gipfelblick auf den Annapurna Fehlanzeige! Trockenen Fußes steigen wir über Pothana nach Damphus ab. Hier wartet das nepalesische Nationalgericht auf uns, vom redseligen Wirt selbst zubereitet. Dhal Bath, wörtlich Linsen und Reis, wird je nach Jahreszeit, Region und Geldbeutel mit Aloo (Kartoffel), Kauli (Blumenkohl), und Masu (Fleisch) ergänzt. Dazu gibt es knusprige Linsenbrotfladen. Und von allem einen Nachschlag. Manchmal schimmern durch die Wolkenfetzen die Bergspitzen, die wir hätten sehen können, wenn ....! Der weitere 5 Kilometer lange Weg nach Phedi führt zum großen Teil über steile Steintreppen 550 Höhenmeter nach unten. Das wollen wir uns nicht antun und lassen uns vom Wirt mit seinem Jeep gegen einen kleinen Obulus runterbringen. Der Rest der Gruppe kommt ziemlich erschöpft bzw. laut schimpfend unten an. In Pokhara beziehen wir schöne Zimmer im Waterfront Resort unmittelbar am Phewa-Lake. Rosi ist so müde, dass sie heute das Abendessen ausfallen lässt.
Strahlender Sonnenschein weckt uns. Die weißen Bergriesen leuchten um die Wette. Sushil registriert unsere Begeisterung und ändert die Tour. Er bringt uns zunächst zum Sarangkot View Point. Das Leuchten unserer Augen müsste eigentlich den Schnee auf den Gipfeln schmelzen lassen. Tiefblauer Himmel krönt die Annapurna Kette. Einzelfotos, Gruppenfotos, alle wollen und kommen ins Bild. Dann weiter zum Bindebashini Tempel in Pokhara. Inmitten klickender Kameras bringen fromme Hindi ihre Opfer dar und beten. Sie schlagen die Gebetsglocke und erhalten das Tika Zeichen auf die Stirn. Ein junges Paar bringt sogar eine kleine Ziege zum Opfern. Wir fühlen uns als Eindringlinge, auch wenn die Nepalesen uns das nicht spüren lassen. Wir spazieren die Bhairab Tol vorbei an historischen Ziegelhäusern der Altstadt und nutzen unseren Bus bis zum Phewa See. Dort steigen wir in Boote um, die uns zur Tal Barahi Insel mit dem gleichnamigen Tempel rudern. Zurück in der Altstadt gehen wir essen, besorgen Bargeld und kaufen Kleinigkeiten. Den freien Nachmittag vertrödeln wir im Hotel, weil es regnen soll. Der angekündigte Niederschlag fällt jedoch aus.
Auf der Fahrt in das 80 Kilometer entfernte Bergdorf Bandipur erzählt uns Sushil die Lebensgeschichte von Buddha: der nepalesische Fürstensohn wird von seiner Mutter in einem Sal-Wald geboren. Sie stirbt kurz darauf. Der Vater heiratet ihre Schwester. Der junge Siddhartha Gautama hält nichts vom höfischen Leben und verlässt mit 29 Jahren Ehefrau und Hof. Er widmet sich der Askese und gelangt zur Erleuchtung. Diese Gelassenheit fehlt uns heute. Wir sind in heller Aufregung, weil eine andere Reisegruppe auf eigene Faust Rückflüge zum sofortigen Verlassen Nepals gebucht hat. Es ist Sonntag und logischerweise bei SKR niemand erreichbar. Nur langsam kehrt wieder Ruhe ein. Wir wollen die Tour fortsetzen und die Entwicklung der nächsten Tage abwarten. Das Dorf Bandipur liegt etwa 1000 Meter hoch auf einem schmalen Bergrücken und war einst ein bedeutender Handelsknotenpunkt. Das Hotel „Old Inn“ ist wirklich uralt, hat Charme, Flair, und überaus niedrige Türen – diverse Köpfe haben das festgestellt. Die alten dunklen Räume, die terrafarbenen Ziegelmauern und die schwarzbraunen Fenster und Türen strahlen Behaglichkeit und Wärme aus. Von der Terrasse aus kann man die weißen Riesen zum Greifen nahe sehen. Das Ortszentrum ist touristisch herausgeputzt und dennoch authentisch. Wir spazieren lange durch die Gassen. Rosmarie ist mal wieder der Kinderstar ob ihrer verteilten Geschenke. Die kleine Bäckerei neben unserem Hotel versorgt uns mit Kaffee und Brownies. Das haben wir schon so sehr vermisst! Am Abend diskutieren wir erneut lange, ob wir fortsetzen oder abbrechen sollen. Wir teilen SKR erneut per E-Mail unsere Sorgen und Bedenken mit.
Sushil verkürzt mit einer weiteren Anekdote die 170 Kilometer lange Fahrt nach Kathmandu: ein reicher Sikh lädt zur Einweihungsfeier seiner drei Swimmingpools Nachbarn und Bekannte ein. Ein Besucher fragt, warum er denn gleich drei Pools benötige. Der Reiche erklärt, in einem sei warmes Wasser für die kühle Jahreszeit, in dem anderen kaltes Wasser für den heißen Sommer. Den dritten ohne Wasser benötige er, falls er mal keine Lust zu schwimmen habe. Uns aber beschäftigt einmal mehr das Corona Virus. Eine holländische Reisegruppe wurde nach nur drei Tagen in Nepal von ihrem Veranstalter zurückgeholt. Andere haben die Informationen, die Rückflüge würden plangemäß durchgeführt. Nur wir haben nichts außer den vielen irritierenden Berichten im Internet. In Kathmandu erhalten unsere beiden Österreicher im Büro von Turkish Airlines die niederschmetternde Nachricht, dass sie nicht wie geplant zurückfliegen können. Akzeptable Alternativen erhalten sie nicht. Weiter zu Air India, womit wir restlichen Sieben nach Hause wollen. Wir erhalten die definitive Auskunft, unsere Flüge würden planmäßig durchgeführt. Am Abend treffen wir im Dhulikel Mountain Resort ein, wo wir die beiden nächsten Tage verbringen werden. Wir sind wieder die einzigen Gäste, daher gibt es kein Büffet, aber das Essen ist hervorragend.
Am Start der dreistündigen Wanderung stehen: Temperatur, Steigung und Kondition. Wir passieren blühende Birn-, Aprikosen- und Zwetschgenbäume. In den Ortschaften ziehen sich die Leute zurück, meidet man Touristen schon? Über uns kreisen Adler (oder Aasgeier). So schlecht geht’s uns dann doch nicht. Schon von weitem können wir auf einem Hügel den Stupa des bedeutenden buddhistischen Heiligtums Namobuddha sehen, sowie des tibetischen Klosters Thrango Tashi Toeling daneben. Das Kloster ist gerade eine arge Baustelle, der Blick von hier oben aber entschädigt. Außerdem ist es wegen Corona geschlossen, wie auch das Restaurant nahe am Eingang. Im oberen Bereich des Klosters findet sich ein Schrein der an die Legende erinnert, in der Buddha sein eigen Fleisch an Tigerjunge gab und sie damit vor dem Verhungern rettete. Einige Stufen führen uns hinab zum alten Namobuddha Tempel, einem Stupa. In dessen Schatten finden wir in einer winzigen Bar Rast, Erholung und Getränke. Unser Bus bringt uns von hier auf schlaglochübersäter Straße zurück ins Hotel. Eigentlich steht für den Nachmittag noch der Besuch eines Marktes auf dem Programm. Der fällt der aufwändigen Suche nach Flügen für unsere österreichischen Freunde zum Opfer. Offensichtlich ist die ganze Welt in Aufruhr und viele Länder schotten sich ab. Wir fangen an, uns auf der Website des deutschen Auswärtigen Amtes in die Liste der heimkehrwilligen Reisenden einzutragen (elefand.diplo.de). Der Server scheint völlig überlastet, die Verbindung bricht laufend ab. Am Abend essen wir, man höre - Rindfleisch. Das komplette Restaurant ist eingedeckt, aber wir sind allein!
Bhaktapur, die faszinierend altertümliche Stadt gehört heute zum Weltkulturerbe, vollgestopft mit alten Tempeln und Schreinen, mittelalterlich wirkenden Häusern. Zwischen dem 14. Und 18. Jahrhundert war es Hauptstadt des Malla Reiches. So manche Gebäude aus dieser Blütezeit sind noch erhalten. Die Einwohner sind größtenteils „Ureinwohner“ des Tals, hier wird mehr Newari als Nepali gesprochen. Die Stadt ist zum Zentrum der Töpferkunst geworden, große Ziegeleien befinden sich außerhalb des Stadtgebiets. Wir tauchen ein in die alten Gassen des Zentrums, mit deutscher Hilfe in den 70er Jahren restauriert. Die Händler sitzen in oder vor ihren kleinen Läden, die Frauen stets in kräftigen Farben gekleidet, die jungen Menschen durchaus modisch, die älteren eher traditionell. Wir besichtigen ein altes Gebäude, in dem Papier handwerklich hergestellt, bedruckt und gebunden wird. Der stolze Besitzer zeigt uns alte Schriftrollen mit dem Leben und Wirken Buddhas. Der 30 Meter hohe Nyatapola-Tempel der höchste Tempel im Kathmandutal ist leider eingerüstet. Mit seinem fünfgeschossigen Dach und der monumentalen Treppe zum (möglicherweise leeren) Allerheiligsten ist er ein Höhepunkt der Stadt. Gut zehn Kilometer westlich liegt Patan oder Lalitpur. Diese Königsstadt ist die älteste im Kathmandu-Tal. Im Jahr 1000 soll sie mit 100.000 Einwohnern zu den größten Städten der Welt gehört haben. Erst brauchen wir eine längst überfällige Pause. Auf der Dachterrasse, beim Essen, ist es angenehm kühl und ruhig. Wieder auf der Straße umschwärmen uns Souvenirhändler und bedrohen uns Motorräder. Wir besichtigen den Durbar Square mit dem königlichen Palast. Auf den Stufen der Tempel sitzen Scharen von Jugendlichen in der warmen Sonne. Trotz der vielen Menschen strahlt der Ort Ruhe aus. Im Hof des Goldenen Tempels sind wir abgeschirmt. Nur ein kleiner Mönch scherzt mit seiner Mutter, die scheinbar zu Besuch ist. Der Rückweg zum Bus durch die engen Gassen fordert unsere Konzentration. Als wir im Tibet International Hotel in Kathmandu ankommen, wird es schon dunkel.
Wir sind online eingecheckt. Timos Spruch beim Frühstück: wenn wir das gut zu Ende bringen, hatten wir mehr Glück als Verstand! Keine Stunde später spitzt sich die Lage dramatisch zu. Unser Air India Rückflug morgen ist gestrichen! An die Stelle des geplanten Rundreiseprogramms tritt unser eigenes Notfallprogramm. Wir besuchen die deutsche Botschaft und erhalten nur unverbindliche Auskunft und allgemeine Ratschläge. Ein Rückholprogramm aus Nepal existiert definitiv noch nicht. Wir sollen uns jedoch unbedingt im Rückholprogramm des Auswärtigen Amtes registrieren. Das ist aber bisher nur einem Teil von uns gelungen. Eine manuelle Registrierung bei der Botschaft wird abgelehnt. Ansonsten sollen wir uns selber um Rückflüge bemühen. Man empfiehlt die arabischen Airlines. Wir statten zunächst Air India einen Besuch ab. Dort erhalten wir die definitive Absage und eine schriftliche Bestätigung, dass unsere Flüge gestrichen sind. Oman Air kann uns keine Flüge anbieten. Bei Qatar Airways warten mehr als 100 Gestrandete vor uns, wir ziehen weiter. Emirates gibt uns eine Option auf Flüge für den 25. März – Entscheidung morgen. Alle Anmeldeversuche bei elefand.diplo.de scheitern. Beim offiziellen Farewell-Dinner am Abend herrscht die ausgelassene Stimmung einer Henkersmahlzeit.
Wir fünf Aufrechten fahren heute zur nepalesischen Einwanderungsbehörde, um unsere Visa verlängern zu lassen, die nur noch bis morgen gültig sind. Nach dreieinhalb Stunden untätigen Wartens in einer Menschenmasse auf kleinstem Raum ist diese Prozedur endlich abgeschlossen. Die Gefahr einer Ansteckung treibt uns Schweißperlen auf die Stirn. Timo hat in der Zwischenzeit bei Emirates erfahren, dass unsere Option auf die Flüge für den 25.03. gestrichen wurde, da Kathmandu Airport geschlossen werde. Jetzt bleibt nur mehr das Auswärtige Amt. Sushil verlässt uns übers Wochenende mit der Empfehlung, Kontakte möglichst zu meiden. Er wird am Montag wiederkommen und unseren Umzug in ein anderes Hotel organisieren, da das Tibet International dann schließt.
Die letzte Reisegruppe neben uns verlässt das Hotel. Deren Guide erklärt uns, dass die Schließung des Flughafens für 23. März 0 Uhr beschlossen sei. Wir suchen krampfhaft nach Flugoptionen. Tickets werden bis zu 10000 US$ angeboten. Noch immer starten Flugzeuge. Über Timos Reisebüro in Deutschland buchen wir schließlich Businessplätze bei Qatar Airways für den 25.03. über Doha nach München unter der Maßgabe, dass sie bei Nicht-Durchführung nicht erstattet werden, aber innerhalb eines Jahres individuell umbuchbar seien. Die deutsche Botschaft hat nun doch eine Anmeldung für Rückholflüge per E-Mail eingerichtet, da man offensichtlich erkannt hat, dass das offizielle Tool aussichtslos überlastet ist. Wir pendeln zwischen Zimmer, Dachterrasse, Lobby und Café. Das Abendessen zu fünft im großen Restaurant ist irgendwie unwirklich.
Frühstücksbuffet für fünf Personen gibt’s nicht mehr. Aber wir bekommen, was wir wollen auf Bestellung und werden weiterhin sehr zuvorkommend bedient. Die Servicemitarbeiter kennen unsere Wünsche und Vorlieben mittlerweile sehr gut und erfüllen sie teilweise unaufgefordert. Unser Reiseveranstalter SKR hat uns E-Mails mit dem Betreff „willkommen zuhause“ geschickt, in denen wir um eine Bewertung der Reise gebeten werden. Am Abend erreicht uns eine Nachricht der deutschen Botschaft, wonach die beiden Airlines Etihad und Qatar Airways weiterhin regelmäßig Passagiere außer Landes bringen. Juhu!
Farewell breakfast im Tibet International. Ein komisches Gefühl, wenn ein großes Hotel mit nur fünf Personen belegt ist. Sushil klappert mit uns diverse kleine Apotheken ab. In einer erhält Rosmarie wenigstens Bisoprolol und Timo hilft mit Aspirin für ASS aus. Das Maya Manor Boutique Hotel ist sehr schick. Hier bleiben wir also für die hoffentlich letzten beiden Tage. Ärgerlich nur, dass unser Abflug von 2 Uhr auf 20 Uhr verschoben wurde. Als Timo im Reisebüro noch mal nachhakt, ob alles klar gehe, erhält er die Auskunft, der Flug sei nicht nach hinten, sondern nach vorne verschoben. Wir verlassen Nepal also bereits morgen Abend. Klasse!
Auf die gestrige Euphorie folgt heute Morgen die Ernüchterung. Totale Ausgangssperre. Alle Flüge gestrichen. Das Hotel schließt. Wir sollen in ein anderes umziehen. Wegen der Ausgangssperre ist das nicht möglich. Wir bleiben hier. Die Küche kann nur noch Kleinigkeiten zubereiten. Grummel. Otto bittet die deutsche Botschaft um Hilfe wegen der Beschaffung von Medikamenten. Man nennt uns eine Klinik, die entsprechende Präparate vorhält.
Bettina, Eberhard und Otto gehen zu Fuß in die CIWEC clinic und bekommen dort gottlob Rosmaries Medikamente. Die Straßen sind leergefegt, alle Läden und Geschäfte geschlossen. Von der deutschen Botschaft bekommen wir die Nachricht, dass Rückholflüge organisiert werden. Und Eberhard verhandelt erfolgreich mit dem Koch, dass wir fünf das gleiche Essen haben wollen, dafür aber was Vernünftiges.
Die Bestätigung der Rückholung für morgen ist da! Aber nur für vier von uns. Timo hat nichts. Mist. Er setzt sich mit der Botschaft in Verbindung. Er darf auch mit. Grund des Übels war eine falsche E-Mail-Adresse.
Wir haben die Hotelrechnung beglichen und den guten Geistern reichlich Trinkgeld gegeben. Abmarsch zum Sammelpunkt kurz nach 5 Uhr. Rosmarie und Otto fahren mit dem Gepäck, Bettina, Eberhard und Timo gehen zu Fuß. Mit Polizeieskorte fahren die Busse zum Flughafen. Das lange Warten beginnt. Irgendwann können wir das Gepäck aufgeben und erhalten Bordkarten. Rosmarie und Otto kommen gleich am Anfang dran. Wo bleiben die anderen? Beim Boarding erhalten Rosmarie und Otto neue Bordkarten. Nanu? Sie haben plötzlich Business-Plätze. Aha?! Rosi kann ihr Glück gar nicht fassen. Die geräumigen Sitze lassen sich elektrisch in ein zwei Meter langes ebenes Bett verstellen. Wow. Der folgende Aufenthalt in Doha ist kurz. Gleich geht’s nach Frankfurt weiter, wo wir um 20 Uhr landen. Wir haben hier im Ibis Airport Hotel Zimmer reserviert.
Der ICE nach München ist nahezu leer. In Nürnberg erfahren wir, dass wegen eines Notarzteinsatzes die Strecke im Raum Ingolstadt gesperrt ist und wir über Augsburg umgeleitet werden. Mit einer knappen Stunde Verspätung erreichen wir München, nehmen den Regionalexpress nach Freising und sind überglücklich, wieder zuhause zu sein.
© copyright Rosi und Otto Kinateder