Seit Montag warten wir vergeblich auf das „certificat qualité de l‘air“, das unserem Womo die ungehinderte Fahrt durch die immer häufiger werdenden Umweltzonen in französischen Städten erlaubt. Wir drucken die vorläufige Bestätigung aus, die wir per Email erhalten haben. Derart ausgerüstet starten wir mittags in Freising. Ab der württembergischen Grenze wird‘s zäh. Stau vor dem Drackensteiner Hang. Rund um Stuttgart stop & go. Dann die Info: „Vollsperrung der A8 bei Pforzheim“- Jetzt übernimmt Onkel Google das Kommando und lotst uns auf romantischen Nebenstrecken durch Wald und Flur. Das geht sogar recht flüssig. Aber wir müssen noch mitten durch Pforzheim. Und das bei einsetzender rush hour. Um 18 Uhr rollen wir endlich in die letzte freie Lücke des Stellplatzes in Bad Bergzabern. Während Otto noch durchatmet, zaubert Rosi flink ein Abendessen. Wir belohnen uns gegenseitig im Zentrum mit zwei großen Eisbechern. Rechtschaffen müde fallen wir anschließend zeitig in die Betten. Gute Nacht.
Von wegen „im Schutz großer Kastanien“. Sie haben uns während des Platzregens in der Nacht sogar mit ihren stacheligen Früchten bombardiert. Was für ein Krach: erst der prasselnde Regen, danach laute Tropfen aus dem mächtigen Blätterdach, begleitet vom Knall der Wurfgeschosse. Wer kann da noch schlafen? Mehr oder weniger gerädert beginnen wir den heutigen Reisetag. Die Route führt über Saarbrücken und in Frankreich mautfrei über Metz, Verdun nach Reims, wo wir gegen 16 Uhr entspannt ankommen. Vormittags hat uns ein Landregen begleitet, später ist es sonnig und warm. Auf einen ausgiebigen Stadtbummel haben wir keine Lust. Aber die Kathedrale Notre-Dame ist ein lohnenswertes Muss. Über Jahrhunderte wurden hier die französischen Könige gekrönt. Mit rund einer Million Besuchern ist sie der Hauptanziehungspunkt der Champagne. Der gotische Bau fasziniert mit seiner Fassade, dem Reichtum an Skulpturen innen wie außen, den zahlreichen farbigen Glasfenstern und dem hoch aufstrebenden Innenraum. Im Übrigen steht unser Womo heute nicht unter, sondern zwischen Bäumen.
Le Tréport ist der nördlichste Ort an der normannischen Küste. Bis dorthin haben wir noch mal rund 250 Kilometer vor uns. Von der Fahrt gibt es eigentlich nichts zu erwähnen. Bei Amiens wählt Rosi gegen die Berechnung des Navi eine Abkürzung. Und brav akzeptiert dieses die neue Route. Irgendwann müssen wir allerdings feststellen, dass es uns heimlich und leise doch wieder auf die alte Strecke gelotst hat. Und freudestrahlend verkündet es am tollen Stellplatz hoch auf den Klippen: „sie haben ihr Ziel erreicht“. Der Blick auf den Atlantik und den herausgeputzten Fischerort unterhalb der 100 m hohen senkrecht abfallenden Klippen ist eine Wucht. Nach einer kurzen Mittagspause gehen wir zu Fuß die vielen Stufen runter. Der Quai Francois I. ist die belebte Restaurantmeile, die Fischhalle davor bei Einheimischen und Gästen gleichermaßen beliebt. Auf der Mole holen Krabbenfischer ihren Fang mittels Körben aus dem Wasser. Im romantischen Cordiers-Viertel nahm der Badetourismus Ende des 19. Jahrhunderts seinen Anfang. Wir schlüpfen während eines kurzen Schauers unter die Markise einer kleinen Bar und wählen für den Rückweg nach oben den bequemen kostenlosen Funiculaire.
Der Wind hat uns heute Nacht in den Schlaf geschaukelt, manchmal aber auch kräftig gerüttelt. Die steife Brise hält den Tag über an und sorgt für Abkühlung. Wir wappnen uns mit Pulli und Fleece und erkunden am Vormittag Le Tréports Oberstadt mit der markanten Saint-Jacques Kirche. Von hier hat man einen sehr schönen Blick auf den Hafen. Da hat jemand den Abfluss-Stöpsel gezogen. Die Schiffe und Fischerboote liegen kreuz und quer auf dem Trockenen. Mittags verlängern wir unseren Aufenthalt auf dem Stellplatz um einen weiteren Tag. Nach der kurzen Rast gehen wir nach Mers-les-Bains auf der anderen Seite des Rivière Morte. Dieser Badeort ist im Gegensatz zu Le Tréport erst 150 Jahre alt, gibt sich aber recht mondän. Das bekommen wir im Strandcafé zu spüren, wo die Bedienung unsere Kaffeebestellung ignoriert. Nach einer halben Stunde vergeblichen Wartens verlassen wir den ungastlichen Ort. Umso freundlicher umsorgt uns die Inhaberin von Chez-les-Filles am Marktplatz und bessert nebenbei unsere (nicht wirklich vorhandenen) Französischkenntnisse auf. Wir spazieren zu den Alabasterklippen und bewundern einige Schwimmer in den Wellen.
Le Tréport adieu. Wir sind auf dem Weg zur Hauptstadt der Normandie, nach Rouen. Aber vorher ist heute am Sonntag noch ein Kirchenbesuch Pflicht. In Jumièges erwartet uns das altehrwürdige gleichnamige Benediktiner-Kloster. Seine Gründung geht in das 7. Jahrhundert zurück. Danach erlebte es eine wechselhafte Geschichte. Zunächst heimgesucht von den Wikingern, später den Engländern und schließlich während der französischen Revolution als Steinbruch benutzt, wurde das, was dann noch übrig war, in den letzten 200 Jahren als Kulturdenkmal konserviert. Von unserem Campingplatz am Ortsrand sind es etwa zehn Minuten zu Fuß. Im Anschluss an die lohnenswerte Besichtigung spazieren wir noch eine halbe Stunde weiter zur Seine. Die Auberge am Fähranleger dort hat leider geschlossen, also zurück nach Jumiéges. Nachdem die Bahnstation nach Rouen mehr als zwei Kilometer vom sehr schönen Campingplatz entfernt ist, werden wir doch nur eine Nacht bleiben und morgen zum städtischen Stellplatz in Rouen weiterfahren.
Das Seine-Tal ist in dichten Morgennebel gehüllt, als wir uns Rouen nähern. Der kostenlose Stellplatz hier ist ein einfacher Parkplatz auf einer Seine-Insel, für die Stadtbesichtigung aber perfekt. Der Nebel ist verschwunden, die Wolkendecke meist geschlossen. Mit zwei (!) Führern ausgerüstet starten wir die Tour in die Hauptstadt. Erste Station ist die Kirche Saint-Maclou im spätgotischen Flamboyant-Stil. Der Place Barthélemy davor ist gesäumt von stattlichen Fachwerkhäusern. Und einer Reihe von netten Cafés. Logischerweise unterstützen wir den Betreiber eines solchen finanziell und erhalten im Gegenzug zwei Café Creme. Wir beobachten die flanierenden Passanten. Jetzt aber rein in die Kirche. Es ist 12 Uhr und sie wird gerade geschlossen. In zwei Stunden öffnet sie wieder. Dumm gelaufen. Gleich nebenan wartet im Aître Saint-Maclou ein ehemaliger Pestfriedhof. Heute hauchen Studenten ihm Leben ein. Wieder nur einen Katzensprung weiter können wir die ehemalige Abteikirche Saint-Ouen ebenfalls nicht besichtigen - wegen Arbeiten! Wir rasten auf einer Bank im großen Park dahinter und gehen zum Place de la Cathedrale. Die öffnet auch erst um 14 Uhr. Die prächtige Uhr am Gros Horologe signalisiert, dass wir noch Zeit für einen Mittagssnack haben. Im Anschluss bewundern wir die historischen Renaissance-Fenster in der futuristischen Kirche Sainte-Jeanne d‘Arc. Vorbei am mächtigen Justizpalast nehmen wir endlich die Cathédrale Notre-Dame in Angriff. Die Fassade wie auch der gewaltige Innenraum beeindrucken. Im Chor sind Liegefiguren der ersten normannischen Herzöge, darunter auch Richard Löwenherz. Danach tut sich Saint-Maclou schwer, uns nochmals in Erstaunen zu versetzen. Weitere Eindrücke können wir nicht mehr aufnehmen. Mit einem kurzen Abendspaziergang lassen wir den fesselnden Tag ausklingen.
Gestern hatte die Seine für Morgennebel gesorgt. Heute macht sie das wieder. Mit dem Unterschied, dass sich die Feuchtigkeit in Form von leichtem Regen niederschlägt. Trotzdem marschiert Otto tapfer zur Boulangerie. Der Duft von frischem Brot und Gebäck lässt das Frühstück gleich noch besser schmecken. Wir verlassen Rouen nach Nordwesten. Étretat bietet uns wieder Steilküste mit bis zu 100 Meter hohen senkrechten Alabaster-Klippen. Der Camping Municipal soll für die nächsten beiden Tage unser Zuhause sein. Die grünen Parzellen sind großzügig, über die Sanitäreinrichtung hüllen wir den Mantel des Schweigens. Der ehemalige Fischerort selber ist bodenständig herausgeputzt, passend zur Schönheit der Natur um ihn herum. Einige wenige Badehungrige schwimmen im Atlantik. Wir nehmen die steile Treppe hoch zum östlichen Aussichtspunkt und kommen gehörig außer Puste. Der Blick von dort oben ist grandios. In einer Boulangerie wartet eine süße Belohnung und am Nachmittag setzt sich die Sonne endgültig durch. Spät abends sitzen wir in eine warme Decke eingemummelt vorm Womo, bis es uns draußen zu kalt wird.
Der Wetterbericht hat für heute acht Stunden Sonne vorhergesagt. Die gibts wohl nur oberhalb der geschlossenen Wolkendecke. Den kompletten Vormittag sitzen wir im Womo, lesen und frieren vor uns hin. Mittags ziehen wir diverse Schichten wärmende Kleidung übereinander und machen uns auf zur Küstenwanderung Richtung Westen. Bereits beim Anstieg zu den Falaise d‘Aval streifen wir die erste Oberbekleidung ab. Die knapp hundert Höhenmeter sorgen für reichlich Durchblutung der Subcutis. Wir schauen zurück auf Étretat und die Felsen d‘Amont, wo wir gestern waren. Oben auf den Klippen fällt unser Puls wieder auf normale Frequenz. Vor uns liegen die Falaise La Manneporte, hinter uns die Falaise d‘Aval und tief unter uns das glasklare Wasser des Atlantik. Und über uns kommt immer mehr die Sonne raus. Wir entledigen uns weiter Bekleidungsschichten. Am Ende des langen Golfplatzes können wir die Steilküste landeinwärts verlassen und gehen über zum Glück wenigstens teilweise schattige Feldwege zurück nach Étretat. Wir nehmen Nachschub für den Weinkeller mit und verwöhnen uns in „unserer“ Boulangerie mit Süßem und Saurem. Müde und verschwitzt kehren wir zum Camping Municipal zurück. Den warmen restlichen Nachmittag ruhen wir meist im Schatten, erst zum Abend hin wieder in der Sonne. Acht wolkenlose Stunden sind es wohl nicht ganz geworden, aber in der zweiten Tageshälfte war‘s wirklich ausreichend warm.
Die Einstellungen des Navi sind geändert. Heute benutzen wir zum ersten Mal auf dieser Reise eine mautpflichtige Strecke. 1,30 Euro für den Autobahnzubringer und 6,50 Euro für die Pont de Normandie, die sich in zwei mächtigen Bögen über die Seinemündung spannt. Wir sparen uns damit rund 50 Kilometer Umweg. Das Geld haben wir bereits vorher im Intermarché bei einem Großeinkauf investiert. Rosi hatte das tröpfchenweise Besorgen satt. Mittags erreichen wir Honfleur. Das Städtchen der Maler: Boudin, Monet, Renoir und Cézanne haben hier geschaffen. Der Womo-Stellplatz, ungepflegt aber zentrumsnah, ist bereits gut gefüllt. In den Restaurants um den Hafen herrscht ebenfalls großes Gedränge. Wir weichen zur hölzernen Katharinen-Kirche aus und bummeln an der Seine zum Jardin des Personnalités. Zurück im Zentrum finden wir nicht einmal einen freien Café-Platz. Erst bei unserer zweiten Stadtrunde am Abend hat sich der Besuchersturm gelegt. Der Stellplatz ist bis in die letzte Nische gefüllt. Wir zählen 182 Wohnmobile. Laut Wetterbericht nimmt die sonnige Phase, die wir bisher erlebt haben, ab morgen ein Ende.
Der heutige Tag ist zweigeteilt. Vormittag Deauville - mondän und trocken. Nachmittag Arromanches - kriegerisch und nass. Deauville gilt als das luxuriöseste Seebad der Normandie. Die nostalgischen Umkleidekabinen hinter den Planches am langen Sandstrand tragen die Namen der Stars, die während des amerikanischen Filmfestivals hier weilten. Edle Boutiquen und prächtige Hotels verströmen Eleganz. Und wir mittendrin! Es war ganz einfach, direkt am Bahnhof einen Parkplatz für unser Womo zu ergattern. Strand und Markt genügen unseren Bedürfnissen voll und ganz. Und der Kaffee und die Rosinenbrötchen der winzigen Bäckerei Anne schmecken vorzüglich. Eine Augenweide die verschiedenen Brotvarianten. Bei Preisen von 11 bis 14 Euro das Kilogramm bleibt für einen Belag nicht mehr viel übrig. Gut 70 Kilometer weiter tauchen wir in die Kriegsgeschichte des zweiten Weltkriegs ein. Am 6. Juni 1944 startete die Operation Overlord der Alliierten Landungstruppen an der Küste der Normandie. Hier in Arromanches, Codename Gold Beach, wurde ein künstlicher Hafen für den Nachschub geschaffen, und zwar in Form von riesigen Betonkästen, die in Strandnähe versenkt wurden. Deren Reste sind bei Ebbe gut zu sehen. Und weil heute um 16:21 Niedrigwasser ist, rollen wir gegen 14 Uhr auf den Stellplatz oberhalb. Der feste Sand lässt uns trockenen Fußes (nur Otto - Rosi bekommt feuchte Zehen) zu den Ponton-Elementen und einem sogenannten Mullberry gehen, um sie aus nächster Nähe zu bestaunen. Rosi meint sarkastisch, es wäre an der Zeit, dass die Briten ihr Strandgut wieder abholten. Dann setzt der Regen ein und begleitet uns zum Womo. Er hält bis in die Nacht an.
Wer nach dieser stürmischen, verregneten Nacht so früh aus dem Wohnmobil kriecht, führt einen Vierbeiner Gassi. Otto nicht! Er hat eher kulinarische Beweggründe. Er besorgt unten in Arromanche Baguette und Croissants fürs Frühstück. Zaghaft begleitet ihn die Sonne. Die Stadt liegt verlassen da. Die einzige Boulangerie versteckt sich, so dass Otto eine ganze Weile mit der Suche beschäftigt ist. Später gehen wir noch mal gemeinsam runter. Es ist gerade Flut und die Landungsrelikte sind größtenteils von den schäumenden Wellen zugedeckt. Der Wind bläst immer noch heftig. Vorbei an Bayeux führt uns das Navi nach Saint Mère Église und wählt dabei fragwürdig kuschelige Nebenstrecken. Die Kirche, wo sich am D-Day der arme amerikanische Fallschirmspringer John Steele in den Spitzen des Turms verfangen hat, beschäftigt uns nur recht kurz. Direkt gegenüber rasten wir bei einem großen Sandwich „Normande“. Am südlichen Ende von Saint-Vaast-la-Hougue hat vor mehr als 300 Jahren der Festungsbauer Vauban ein Fort geschaffen. Wir besichtigen die große Anlage von außen, entdecken dahinter Austernbänke. Rosi findet einige Jakobsmuscheln. Dann aber weiter zum schönen Camping La Blanche Nef, nördlich von Barfleur. Mit 14 Euro für zwei Personen sehr günstig. Dagegen sind die zusätzlichen fünf Euro für Strom glatter Wucher. Der Tag war wesentlich sonniger, als wir erwartet hatten. Wir lassen die Seelen baumeln.
Auch der heutige Sonntag ist zweigeteilt. Der Vormittag gehört dem Ort Barfleur, laut Führer eines der schönsten Dörfer Frankreichs. Schön ist es nicht in Form von lieblich romantisch, aber es hat rauen Charme. Die trutzigen Häuser sind traditionell aus Granit gebaut und mit Schiefer gedeckt. Einziges Schmuckelement ist glasierte Keramik auf Dachfirsten und den Giebeln von Gauben. Die Kirche Saint-Nicolas ist innen unglaublich dunkel. Und die Toten auf dem Friedhof sehen auch kein Licht und keine Blumen. Ihre Gräber sind fast ausnahmslos mit schmucklosen Steindeckeln versehen. Barfleur taucht in der Geschichte auf, weil hier die „Blanche Nef“ - der Name unseres Campingplatzes - mit den Anwärtern auf den englischen Thron auf Grund lief und ihre Insassen starben. Heute werden hier vor allem die berühmten „Blondes de Barfleur“-Muscheln aus dem Meer geholt. Das Ziel unserer nachmittäglichen Wanderung ist der Phare de Gatteville. Muss man den höchsten Leuchtturm Frankreichs besteigen? 75 Meter hoch, 365 Stufen - nein, das wollen wir unseren Knien nicht antun. Der Weg hierhin war ohnehin nicht unproblematisch. Als Belohnung macht Rosi später einen tollen Apfelpfannkuchen.
Aufbruch. Früher Regen und späte Bettelleute kommen nicht weit (Ausspruch von Rosis Papa). Das Navi lotst uns über Traktor-verschmutzte Flurwege durch weite Gemüsefelder. Da könnten wir den geplanten Einkauf fast nebenher machen. Und beinahe hätte es auch noch für einen Hasenbraten gereicht. Im Intermarché in Cherbourg können wir unsere Besorgungen dann doch trockenen Fußes erledigen. Als Ziel haben wir für heute einen Womo-Parkplatz an der Küste am Cap de la Hague ausgesucht. Das letzte Stück wird noch richtig eng. Otto vertraut mal wieder dem Navi mehr als Rosi. Mit eingeklapptem Spiegel tastet er sich an Mülltonnen und hohen Gartenmauern entlang, darauf folgt ein ungeteerter Hohlweg. Wir kommen zum Glück ohne Blessuren an. Die Sonne lockt uns zu einem Spaziergang ans Meer, den kleinen Hafen, den Leuchtturm und einen alten Wehrmachts-Bunker. Am Horizont lassen sich die Umrisse einer der Kanalinseln - vermutlich Alderney - ausmachen. Der Rückweg führt uns vorbei an schmalen Weideflächen, die von alten Mauern aus Feldsteinen und zerzausten Windschutzhecken begrenzt sind.
Heute ist der erste Tag, wo wir am Morgen noch nicht wissen, wo wir am Abend sein werden. Wir entschließen uns, vormittags über Auderville und St-Germain-des-Vaux quer über das Cap de Hague zum Port Racine zu gehen. Dort befindet sich der kleinste Hafen Frankreichs. Die beiden Ortschaften wirken typisch normannisch trutzig. Die aus Granit gemauerten Häuser sind recht gepflegt. Der Weg selbst ist die schmale Ortsverbindungsstraße und am Ende ein separat ausgeschilderter Fußweg. Den Hafen selbst kann man anschauen, muss man aber nicht! Die sonnenbeschienene Terrasse des Hotel L‘Erguillère wäre unser Platz gewesen. Leider kein Service! Den Rückweg wählen wir direkt an der Küste entlang. Eine Strecke mit traumhaften Ausblicken. Zur Linken weidende Kühe, rechts viele kleine vorgelagerte Inseln, über die die Gischt bricht. Der Weg ist meist gut zu gehen. Einige Trockenmauern müssen überwunden werden. Am Ende ist der Kampf gegen den böigen Wind sehr anstrengend. Im Womo gibt‘s eine Kleinigkeit zu essen. Wir entschließen uns, noch eine weitere Nacht hier zu bleiben. Der am späten Nachmittag einsetzende leichte Regen bekräftigt unsere Entscheidung.
Otto wird seit gestern von einem Hexenschuss geplagt. Und er wollte doch heute eine ausgiebige Dünenwanderung machen. Zum Glück haben die Schmerzen nachgelassen. Camping du Bocage in Carteret schließt am 30. September. Aber so lange werden wir ja gar nicht bleiben. Wir buchen für eine Nacht und löhnen dafür inklusive Strom und WiFi sensationell günstige 13,18 Euro. Na ja, das Sanitärgebäude hat schon einige Jahre auf dem Buckel. Wir kommen damit zurecht. Mittags stapfen wir los. Die Sonne ist auch dabei. Zunächst geht es stetig bergauf. Rosi kommt als erste ins Schwitzen. In dem großen Dünengebiet fühlen wir uns nach Dänemark versetzt. Das wirkt hier alles andere als normannisch. Der größte Teil des Weges in den Dunes d‘Hatainville ist auf relativ festem Grund gut zu bewältigen. Mittendrin beginnt es leicht zu regnen und ab dem Dorf Hatainville, von wo wir auf einer nichtssagenden geteerten Straße gehen müssen, wird‘s nass. Der Dünenanteil des Rundwegs war leider viel zu kurz. Zurück in Carteret suchen wir eine Bar oder ein Café. Aber hier wurden um 14 Uhr die Bürgersteige hochgeklappt. Es gibt nichts, nicht einmal einen Supermarkt! Sogar die einzige Boulangerie hat geschlossen. Nach dem Kaffee vor dem Womo machen wir noch eine Runde zum Hafen und zum unglaublich breiten Strand bis vor zum Cap. Jetzt bei Niedrigwasser stehen die Badehäuschen gefühlt im ersten Stock. Auf dem Rückweg halten wir vergeblich Ausschau nach einem Restaurant, um Muscheln zu essen. Rosi hat am Abend 24.000, Otto 22.000 Schritte auf dem Zähler, also rund 14 Kilometer - unser persönlicher Normandie-Rekord.
Bis auf Schneetreiben - und das soll‘s hier eher selten geben - wird uns heute wettermäßig wirklich alles geboten. Als Otto Baguette fürs Frühstück holt, steht die Morgensonne am Himmel, untermalt von einigen Wolken. Während er kurz darauf beim Duschen ist, füllt ein Platzregen alle Wasserspeicher der Umgebung randvoll. Während der eineinhalbstündigen Fahrt nach Bayeux läuft der Scheibenwischer auf langsamem Intervall. Gerade noch rechtzeitig vor deren Mittagspause checken wir im sehr angenehmen „Camping des Bords de l‘Aure“ ein. Beim anschließenden Muschelessen im „Le Garde Manger“ ergießt sich ein erneuter Schauer über die Stadt. Und als wir das empfehlenswerte Lokal wieder verlassen, strahlt die Sonne vom tiefblauen Himmel als wäre nichts gewesen. Satt und zufrieden widmen wir uns jetzt der Kultur. Der fast siebzig Meter lange „Teppich von Bayeux“ entstand Ende des 11. Jahrhunderts und illustriert die Geschichte vom normannischen Herzog Wilhelm (dem Eroberer), der 1066 in der Schlacht von Hastings die Engländer besiegte und damit auch König von England wurde. Das zweite Kulturdenkmal von Bayeux ist die Kathedrale Notre-Dame. Namensgebend scheinen die Franzosen ziemlich einfallslos gewesen zu sein. Kirchenbau verstanden sie allerdings meisterhaft. Der Sitz des Bischofs von Bayeux-Lisieux präsentiert sich als dreischiffige Kreuzbasilika. Das reich mit Skulpturen verzierte Westwerk empfängt uns mit einem Haupt- und zwei Nebenportalen. Obenauf ragen zwei wuchtige, spitze Türme. Der Innenraum ist geprägt von ornamentalen Mustern. Bei aller Schönheit: wir haben uns mittlerweile sattgesehen und verbringen einen gemütlichen Abend draußen vor dem Wohnmobil.
Adieu wunderschöner Camping des Bords de l‘Aure. Wir starten die lange Heimreise. Heute wollen wir nur ein relativ kleines Teilstück bis kurz vor Paris fahren, um nicht im dortigen Freitag-Nachmittags-Verkehr festzustecken. Der kleine Womo-Stellplatz in Nogent-le-Roi soll uns das Nachtquartier stellen. Eigentlich sind‘s nur gut 200 Kilometer. Aber unser Navi möchte anscheinend besonders kreativ sein und uns die allerkleinsten Nebenstraßen zeigen und nutzen lassen. Und Otto folgt ihm geflissentlich. Rosi ist mächtig sauer, als wir nach vier Stunden reiner Fahrzeit endlich ankommen. Dann sind auch noch die wenigen Womo-Plätze belegt. Zusammen mit einem britischen Camper nutzen wir einen langen Bus-Parkplatz. Otto flüchtet ins historische Zentrum. Ruinöses Fachwerk neben schick renoviertem. Die Kirche Saint-Sulpice trägt ausnahmsweise mal nicht den Namen Mariens. Das Chateau auf einem Hügel inmitten eines großen und schönen Parks ist stattlich. Es scheint leer zu stehen. So ganz nebenbei entdeckt Otto eine kleine Boulangerie, die unser Frühstück morgen sichert.
Am Samstag haben wir das längste Teilstück. Knapp 500 Kilometer sind‘s bis ins lothringische Phalsbourg. Wir nutzen wieder die mautfreien Nationalstraßen und kommen mit sechs Stunden Fahrzeit bestens durch. Auch die Großstadt Paris stellt uns vor keinerlei Probleme. Obwohl die zweite Teilstrecke am Sonntag um 100 Kilometer kürzer ist, brauchen wir ähnlich lange wie am Vortag. Kaum ist die deutsche Grenze überschritten, Stau! Einmal mehr Pforzheim, zusätzlich am Aichelberg. Schon erstaunlich, weshalb in Frankreich der tempolimitierte Verkehr flüssig vonstattengeht, während man im tempofreien Deutschland allerorten in Staus feststeckt.
Wir haben auf dieser Reise insgesamt gut 2.800 Kilometer zurückgelegt. Die Übernachtungskosten waren zwischen 20 Euro und 13 Euro auf Campingplätzen, beziehungsweise 10 Euro und 0 auf Stellplätzen äußert niedrig. Die wesentlich günstigeren Treibstoffkosten dort haben zusätzlich Reserven für weitere Touren gelassen. Frankreich ist ein ausnehmend Camper-freundliches Land - merci et au revoir!