Der Balkan - das klingt fremd und sogar fast ein wenig gefährlich. In der Zeit des Kalten Krieges drangen keinerlei Informationen von dort zu uns durch (oder sie haben uns damals nicht interessiert). In unserem Reiseatlas ist er eine unentdeckte weiße Fläche. Höchste Zeit, das zu ändern!
Seit unserer Englandreise letztes Jahr bombardiert uns trendtours zweimal wöchentlich mit allerlei Angeboten. Dabei war auch die Kleingruppenreise "Griechenland, Albanien und Nordmazedonien - von Göttern, Helden und Heiligen". Spontan haben wir zugeschlagen.
Zu nachtschlafender Zeit fahren wir mit der Linie 635 zum Flughafen München. Wir sind bereits online eingecheckt und müssen nur noch das Gepäck aufgeben. Für ein einfaches Frühstück bestehend aus zwei Cappuccino und zwei Sandwiches löhnen wir knapp 30 Euro. Warten! Mit einem Zwischenstopp in Wien befördern uns die Austrian Airlines nach Thessaloniki. Der trendtours-Abholservice teilt die Ankömmlinge: eine große Gruppe fährt mit dem Bus in ihr Hotel, unsere dreiköpfige Münchner Kleingruppe wird per Taxi ins Hotel Metropolitan chauffiert. Den Nachmittag verbringen Rosi und Otto an der gepflegten Strandpromenade. Ein schickes Restaurant direkt am Meer lädt uns zum Lunch ein. Bei der kurzen Info-Veranstaltung und dem anschließenden Abendessen lernen wir alle unsere Mitreisenden kennen. Die Gruppe besteht aus 17 Personen. Wir erfahren, dass die Tour in entgegengesetzter Richtung zur ausgeschriebenen Route durchgeführt wird. Egal, wir haben uns überhaupt nicht vorbereitet. Was sich als Fehler erweisen wird. Dazu am Ende mehr.
Thessaloniki
Heute lernen wir Evi kennen, unser Guide auf der gesamten Reise, sowie Panagiotis, unseren Fahrer. Zusätzlich unterstützt von einer lokalen Führerin besichtigen wir Thessaloniki, die zweitgrößte Stadt Griechenlands. Wir starten mit dem Weißen Turm am Hafen, einer osmanischen Befestigung, später Gefängnis. Ganz in der Nähe reitet Alexander der Große auf seinem Streitpferd Bukephalos, das ihn auf allen seinen Feldzügen begleitet hatte. Auf der anderen Seite des Thermaischen Golfs leuchtet der schneebedeckte Gipfel des Olymp in der Morgensonne. Viel Zeit widmen wir der Demetrios-Basilika, die dem Stadtpatron geweiht ist. Ihre Krypta wurde in den antiken römischen Thermen errichtet. Hoch über der Stadt thront die Akropolis, von der noch Reste der byzantinischen Stadtmauer erhalten sind. Menschenmassen wollen gemeinsam mit uns die Aussicht genießen.
Korça
Unser kleiner Bus bietet 20 Sitzplätze und ist ziemlich eng. Auf den rund 250 Kilometern nach Korça "kommt man einander näher". Die Griechisch-Albanischen Grenzkontrollen im Niemandsland sind ungewohnt streng. Sowohl bei der Aus- wie auch bei der Einreise werden alle Ausweise sehr genau kontrolliert und einzeln registriert. Die Prozedur dauert. Am frühen Nachmittag erreichen wir Korça. Die Stadt gilt als Wiege der Albanischen Literatur. Dem berühmten Schriftsteller Giorgos Seferis wurde im Garten der Griechischen Botschaft ein Denkmal errichtet. Wir haben "Freizeit", Evi empfiehlt zum Alten Basar zu gehen. Rund um den Platz gruppieren sich ausschließlich Bars und Restaurants. Wir bestellen ein Sandwich und erhalten ein warmes Baguette mit Fleisch-, Gemüse- und Pommesfüllung(!). Rosi schmeckt's gar nicht. Anschließend verkosten wir in einem Weingut Wein und Raki. Nach einer Stunde Fahrzeit erreichen wir schließlich Pogradec am Ohridsee, wo wir die nächsten beiden Nächte im Hotel 1Maji (passend zum Datum) schlafen werden.
Ohrid in Nordmazedonien
Wir fahren am Ohridsee nordwärts und passieren gleich hinter Pogradec die Grenze nach Nordmazedonien. Auch hier sind die Kontrollen genauso aufwändig und zeitraubend wie gestern. Und so brauchen wir für die 40 Kilometer lange Strecke eineinhalb Stunden. In Ohrid erwartet uns Risto als lokaler Guide. Er spricht sensationell gutes Deutsch und weiß fesselnd zu erzählen. Zunächst erkunden wir die Stadt von der Seeseite. Wir lernen, dass die heiligen Kyrill, Method und Naum, letzterer in der Nähe von Ohrid, die erste Schrift für die altslawische Sprache – das glagolitische Alphabet - entwickelt haben. Anschließend besuchen wir eher lustlos eine Papiermanufaktur. Die knapp 1000 Jahre alte Sophienkirche begeistert uns umso mehr. Zum Schluss rezitiert Otto im antiken Amphitheater kurz den Anfang von Homers Odyssee, ein Relikt seiner Schulzeit: "Ἄνδρα μοι ἔννεπε, Μοῦσα, πολύτροπον, ὃς μάλα πολλὰ πλάγχθη, ἐπεὶ Τροίης."
Pogradec in Albanien
Nach erneuten Grenzkontrollen zurück im Hotel unterhält uns am Abend eine jugendliche Folkloregruppe mit ihren Tänzen. Nach ihren eigenen Darbietungen fordern sie uns Zuschauer zum Mitmachen auf. Die Scheu ist groß und der Zuspruch gering. Nur wenige Mutige wagen sich auf die Tanzfläche. Willi, ein Mitreisender aus München, glänzt zusammen mit Evi am Schluss bei einem Sirtaki. Er sei Mitglied in einer professionellen Balkan-Tanzgruppe, erklärt er uns später.
Tirana
Gut 120 Kilometer lang ist die Strecke von Pogradec über Elbasan nach Tirana, die Hauptstadt Albaniens. Große verfallene leerstehende Industriegebäude säumen unseren Weg dorthin. Farbenfrohe Bauwerke aus der osmanischen, faschistischen, sowjetischen und heutigen Zeit prägen das Stadtbild Tiranas. Die Tour, wieder von einer lokalen Führerin geleitet, beginnt beim Zentrum des Bektashi-Ordens. Den prächtigen Bulevardi Deshmoret e Kombit im Zentrum säumen diverse Regierungsgebäude und Prachtbauten. Der riesige zentrale Hauptplatz ist nach dem albanischen Nationalhelden Skanderbeg benannt. Hier endet der offizielle Teil unserer Führung. Evi begleitet uns noch zur ehemaligen Burg, von der nur ein kärglicher Rest der Mauer erhalten ist. Dahinter erwartet uns eine überdimensionale Fressmeile. Wir essen eine Kleinigkeit und laufen anschließend mangels Ortskenntnis recht ziellos umher. Aufbruch an die Küste nach Durres. Was wir hier sollen, verstehen wir nicht. Eine römische Stadtbefestigung rauscht am Busfenster vorbei, wir wenden und halten an der Hafenpromenade für einen zehnminütigen Fotostopp. Danach beziehen wir unsere Zimmer im Delight Hotel in Golem, 20 Kilometer südlich. Bei Dunkelheit unternehmen wir noch einen gemütlichen Abendspaziergang an den Strand.
Elbasan
Gestern haben wir Elbasan nur durchfahren, heute besuchen wir die Stadt endlich. Im Zentrum befindet sich die osmanische Altstadt mit ihren gewundenen Gassen. Von der Stadtmauer ist nur noch ein Rest erhalten. Dahinter liegt die mehr als 500 Jahre alte Königsmoschee. Evi erklärt, dass wir für die Besichtigung die Schuhe ausziehen müssen. Dazu kommt es aber nicht. Wir stehen vor verschlossener Tür! Leicht frustriert gehen wir weiter zur Kathedrale der Heiligen Maria. Die Kirche wird seit den 1990er Jahren von einer albanisch-nationalistischen Splittergruppe der albanisch-orthodoxen Kirche betrieben. Die Ehefrau des Priesters kassiert den Eintritt von 1,50 Euro pro Person. Beim Zurückgehen entdecken Rosi und Otto, dass jetzt die Tür der Königsmoschee offensteht. Sie schlüpfen aus den Schuhen und rein in die älteste erhaltene Moschee des Landes.
Berat
Berat am Fluss Osum, die Stadt der 1000 Fenster, wurde 1961 offiziell zur Museumsstadt erklärt und ist inzwischen Weltkulturerbe. In den drei historischen Stadtteilen Mangalem (muslimisch), Gorica (christlich) und Kalaja (die Burg) mit den typischen weißen Häusern sind Neubauten generell verboten. Die Reisegruppe entdeckt den schönen Ort individuell. Rosi und Otto durchstreifen das weitgehend unbewohnte Gorica und finden im Innenhof des stilvoll restaurierten Koroni Hotels einen schattigen Platz für ein kleines Mittagessen. Zu Abend essen wir wieder in unserem Delight Hotel in Golem bei Durres. Am Strand und in den Restaurants pulsiert in den frühen Nachstunden das Leben.
Gjirokastra
200 lange Kilometer trennen uns von Gjirokastra. Diese alte Stadt ist ebenfalls Weltkulturerbe und zugleich Geburtsort des ehemaligen Diktators Enver Hoxha und des bekanntesten albanischen Schriftstellers Ismail Kadare. Auch hier sind wir uns selbst überlassen. Rosi und Otto wagen den steilen Aufstieg hoch zur Burg und kommen ganz schön außer Puste. Das Burginnere ist wenig spektakulär. Dafür entschädigt der tolle Blick auf die "Stadt der Steine". Die meisten Dächer sind mit Steinplatten gedeckt. Dieses Material war billig und reichlich vorhanden. Der Weg zurück nach unten hat es noch einmal in sich. Das glatte Steinpflaster der steilen Wege ist recht rutschig. Am Ende reicht die Zeit nicht mehr für den Besuch eines der vielen Restaurants. Wir trinken eine Cola und essen ein paar Brotchips.
Butrint
Mit der Ruinenstadt Butrint haben wir den äußersten Süden Albaniens erreicht. Die ältesten Funde stammen aus der Zeit um 1000 vor Christus. Als städtisches Zentrum kam sie zu Reichtum und Macht. Im 4. Jh. v. Chr. nahm der griechische Einfluss stark zu. 200 Jahre später dominierten die Römer. Auch Julius Caesar besuchte die Stadt. Uns unterhält ein lokaler Führer deutscher Herkunft. Seine Spaßmacher-Allüren findet ein Teil der Gruppe lustig. Wir besichtigen das griechische Asklepios Heiligtum, das römische Amphitheater, Thermalbad, Marktplatz, Sportstätte, die frühchristliche Taufstätte und die Basilika. Anschließend beziehen wir unsere Zimmer im Toer Hotel in Saranda. Rosis und Ottos komfortables Zimmer mit riesigem Badezimmer liegt in der zweiten Etage. Einige Auserwählte von uns residieren im 14. Stock mit tollem Blick über die Stadt. Den können wir aber zumindest vom Restaurant ganz oben ebenfalls genießen.
Saranda
Ein Teil der Gruppe hatte einen fakultativen Ausflug auf die griechische Insel Korfu gebucht, der heute stattfindet. Wir wollten lieber einen gemütlichen ruhigen Tag ohne Programm in Saranda verbringen. Wir nehmen uns Zeit das Frühstück stressfrei zu genießen und ratschen bis 10 Uhr mit Karin und Rainer. Im Anschluss bummeln wir die Strandpromenade entlang, trinken einen Kaffee und machen Mittagssiesta. Am Nachmittag essen wir im Restaurant Limani eine Kleinigkeit und spazieren durch die mittlerweile heiße Stadt. In einem Supermarkt besorgen wir etwas Obst und ein paar Snacks. Ein schöner Tag.
Metsovo
Wir verlassen Saranda bei Regen. 40 Kilometer weiter bei Kakavija an der Grenze zu Griechenland scheint bereits wieder die Sonne. Hier dauern die Kontrollen infolge technischer Probleme außergewöhnlich lange. Aber irgendwann ist es überstanden. Nach Metsovo sind es noch einmal 100 Kilometer. Die letzte Strecke vor dem Bergdorf schraubt sich unser Bus Serpentine um Serpentine auf immerhin 1200 Meter hoch. Auf dem zentralen Parkplatz herrscht dichtes Gedränge. Wir sind nicht die einzigen Touristen hier. Im Winter ist ganz in der Nähe ein Skigebiet. Bekannt ist der Ort für den geräucherten Metsovone Käse aus Kuh- und Ziegenmilch. Wir probieren eine Portion vom Grill, müssen jedoch lange auf das dazugehörende Brot warten. Viele Häuser sind ähnlich wie in Gjirokastra mit Steinplatten gedeckt. Sonstige Sehenswürdigkeiten sind eher rar gesät.
Meteora
Der Name Metéora leitet sich von altgriechisch μετέωρος (frei übersetzt "in der Luft schwebend") ab. Dieser Name beschreibt zutreffend die Lage der Klöster, die auf hohen Sandsteinfelsen gleich Vogelnestern errichtet wurden. Ab dem 13. Jahrhundert entstanden 24 solche Einrichtungen nahe der Stadt Kalambaka. Heute sind nur noch sechs bewohnt. Die restlichen sind entweder zu schwer zu erreichen oder wurden verlassen. Lasten und auch Menschen wurden seinerzeit mittels Seilwinden in Körben befördert. Wir besichtigen zusammen mit einer lokalen Führerin das 1312 gegründete Kloster Agios Stéphanos, seit 1961 ein Nonnenkloster. Frauen dürfen die Kirche interessanterweise nicht mit Hosen betreten. Deshalb gibt es in einem Vorraum Wickelröcke zum Überziehen. Der Innenraum ist ein wahres Schmuckstück. Leider ist fotografieren nicht erlaubt. Mit unserem Bus umrunden wir die gewaltige Felsenlandschaft und fahren weiter nach Mouzaki, um dort zu übernachten. Heidi aus Leverkusen hat heute großes Pech. Am späten Nachmittag stellt sie fest, dass ihr Portmonee mit 120 Euro, allen Bankkarten und dem Personalausweis fehlt. Zum Glück hat sie wenigstens eine zweite Geldbörse und ihren Reisepass im Gepäck.
Litochoro
Heute wollen wir zu den Göttern. In der griechischen Mythologie wohnen sie auf dem Olymp. Sein Gipfel liegt mehr als 2900 Meter über dem Meeresspiegel und ist auch im Sommer schneebedeckt. Wir bleiben zu seinen Füßen im Ort Litochoro. Eine Weile spazieren wir bergwärts durch nichtssagende Straßen und kehren bald wieder um. Zeus, Hera, Poseidon und die anderen neun olympischen Himmelsbewohner verstecken ihre Behausung hinter einer dichten Wolkendecke. Zum Glück ist die Kirche des Heiligen Nikolaus geöffnet. Die blauen Fenster erzeugen drinnen ein mystisches Licht. Es ist schön hier. Anschließend setzen wir uns auf die Terrasse des SB-Cafés Rodon und schlürfen Cappuccino. Otto ersteht zusätzlich ein Sandwich sowie kandierte Orangenstücke mit Schokoüberzug, von denen keiner der Anwesenden etwas abhaben will.
Thessaloniki
150 Kilometer haben wir heute schon hinter uns, weitere 125 liegen vor uns. Wir durchqueren Thessolinki, passieren den Flughafen und landen schließlich im Eona Beach Hotel direkt am Sandstrand. Die Zimmer sind sehr gepflegt aber klein und das Bad ist winzig. Für die eine Nacht kein Problem. Am frühen Abend essen alle gemeinsam mit Evi und Panagiotis in der Taverne nebenan und nehmen Abschied. Rosi und Otto spazieren später noch weit an der langen Promenade Richtung Zentrum. Die Restaurants und Bars sind voller Menschen. Auf dem Rückweg stößt noch Andreas dazu.
heimwärts
Ein letztes gemütliches Frühstück. Die Reisegruppe hat sich bereits aufgelöst. Rosi und Otto werden zusammen mit den Berlin-Fliegern als letzte vom treuen Panagiotis zum Airport kutschiert. Nach einem relativ langen Zwischenstopp in Wien landen Sie glücklich und zufrieden in München und sind eine halbe Stunde später wieder zuhause.
Resümee
Zur Mitte der Reise waren wir etwas enttäuscht. Die Zahl der gebotenen Sehenswürdigkeiten war überschaubar. Die vielen "Freizeiten" ermüdend, da wir zu wenige Informationen hatten, was wir (außer Essen) unternehmen könnten. Zuhause besorgte Rosi umgehend einen Albanien-Reiseführer - hätten wir das nur vorher gemacht - und stellten fest, dass die besuchten Orte viel mehr zu bieten gehabt hätten. Letztlich ist es unsere eigene Schuld, dass wir zeitweise orientierungslos unterwegs waren. Ein echtes Manko aber war der kleine Tourbus mit seinen engen 20 Sitzplätzen. Der Aufpreis für die Kleingruppenreise war unter dieser Voraussetzung unsinnig.
Beim Betrachten unserer vielen Fotos und dem Verfassen dieser Zeilen stellten sich jedoch wieder echte Freude und Begeisterung über das Erlebte ein.